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Schwerte. Sie sind männlich, Linkshänder und tendenziell eher ängstlich? Dann müssten Sie nach historisch veralteten Beobachtungen auch ein Stotterer sein. Christopher Wartenberg räumte mit seinem Vortrag „Die Kulturgeschichte des Stotterers“ im Rahmen der Reihe „Montags im Museum“ mit Mythen und Vorurteilen rund um das Stottern auf. Als Mitglied des Fördervereins des Ruhrtalmuseums war er gleichzeitig auch Gastgeber der Veranstaltung, die knapp 40 Interessierte besuchten.
Bruce Willis, Marilyn Monroe, Winston Churchill, Elvis Presley, Dieter Thomas Heck und König George VI. – sie alle sind bzw. waren Stotterer. Etwa ein Prozent der Weltbevölkerung – davon tatsächlich überwiegend Männer – sollen betroffen sein. Christopher Wartenberg zählt selbst ebenfalls dazu: „Besonders dann, wenn ich über meine Doktorarbeit spreche“, schickte Schwertes Oberschichtmeister schmunzelnd voraus. Seit 2013 recherchiert er im Fach Kulturanthropologie/Volkskunde für seine Dissertation mit dem Arbeitstitel „Der Stotterer. Eine kosmologische Untersuchung“. Noch sind die 100 Seiten nicht geschrieben, aber die Inhalte hat er schon zusammen.
Des einen Freud, des anderen Leid
Das Stottern ist ein universales Phänomen. Es kommt in jeder Kultur und in jeder Epoche vor. Schon die alten Griechen in der Antike haben darüber philosophiert. Als „Anomalie der Stimme“ oder Abweichung von der Norm“ löst es bei Zuhörern Faszination und bei den Betroffenen Leid aus. Spott, Schamgefühl und Stigmatisierungen können negative Folgen für das eigene Selbstbild haben. In einem anschließenden Gespräch erzählt Christopher Wartenberg, dass er sich aber vor allem selbst gebrandmarkt habe, indem er beispielsweise im Unterricht nie den Mund aufgemacht hat: „Ich hatte keine Angst davor, was ich sage, sondern wie ich es sage.“
Zwar gilt Stottern als die bekannteste und häufigste Art der Sprachchaos, trotzdem herrscht im Bereich der Wissenschaft ein terminologisches Chaos. Es gibt keine einheitliche Definition und zahlreiche, teilweise irrsinnige, Hypothesen über die Ursachen. Weil Linkshändigkeit bei Stotterern deutlich öfter als bei Nicht-Stotterern vorkam, gab es im späten 19. Jahrhundert Heilkurse für Stotterer, um von links auf rechts umzuschulen. Das ist natürlich Unsinn. Genausowenig hat es mit einer ängstlichen Persönlichkeit oder einer geringeren Intelligenz zu tun. Fakt ist nur, es gibt mehrere Ursachen und bei jedem Stotterer ist es anders.
Häufiges Sprechen vor Publikum hilft
Ähnlich abgedreht waren die damaligen Behandlungsmethoden. Ende des 18. Jahrhunderts schnitt der Mediziner Johann Friedrich Dieffenbach bei gut 80 Patienten die Zunge ein (ohne Narkose!), weil er glaubte, diese seit nicht beweglich genug und verursache daher das Stottern. Viele andere Amtskollegen in Europa kopierten diese Operation. Tatsächlich trat zunächst Besserung ein, denn das Stottern nimmt ab, wenn die Zunge wund ist. Doch sobald die Wunde verheilt ist, ist alles wieder beim Alten. Christopher Wartenberg hat für sich eine Lösung gefunden, die deutlich schmerzfreier und einfacher ist: Sprechen. Ihm hat die Erfahrung geholfen, das häufige Sprechen vor Leuten, ob an der Uni oder in seinen vielen ehrenamtlichen Funktionen: „Seit ich in Schwerte Öffentlichkeitsarbeit mache, ist es besser geworden.“