Quantcast
Channel: Blickwinkel – Das Nachrichtenportal für Schwerte
Viewing all articles
Browse latest Browse all 6062

Talk am Turm: sich mit Nächstenliebe auf Augenhöhe begegnen

$
0
0

Schwerte. „Die Nächstenliebe.“ Der Vortrag von Mouhanad Khorchide im „Talk am Turm“ an St. Viktor hätte denkbar kurz ausfallen können. Der Münsteraner Professor sollte über die gemeinsamen Werte von Islam und Christentum sprechen. Sein Appell an die Menschheit nach einer spannenden, überaus lehrreichen Stunde fiel leidenschaftlich aus: „In allen Religionen geht es um die Nächstenliebe. Wenn wir alle mit diesem Wert unser Tun bereichern, machen wir unsere plurale Gesellschaft sehr wertvoll“.

Stadtkirchenpfarrer Tom Damm hatte die Begrüßung im bis auf den letzten Stehplatz vollen neuen Gemeindesaal neben dem Turm von St. Viktor übernommen. Damm wünschte sich eine Antwort auf die Frage, was Muslime und Christentum tun können „um als multikulturelle Gesellschaft leben zu können“. Den Begriff multikulturell ersetzte Professor Khorchide, Inhaber einer der wenigen neuen Lehrstühle für islamische Religionspädagogik, durch „plural“. Khorchide vertritt die durchaus umstrittene Auffassung, dass der Koran nicht als Monolog Gottes, unbhängig von den Adressaten, zu lesen und wörtlich zu nehmen ist. Wie die Bibel verlange auch der Koran eine zeitgmäße Interpretation und müsse vor dem historischen Zusammenhang des 7. Jahrhunderts verstanden werden. Wenn man selbst die kritischsten Suren und Verse mit damals aktuellen politischen und sozialen Zusammenhängen erklärt, ist der Koran alles andere als gewaltbefürwortend, kriegerisch, frauenverachtend – sondern barmherzig und allen Menschen gegenüber gleich wertschätzend. Es steht im Koran: Es ist gottgewollt, dass es unterschiedliche Wege zu ihm gibt. Juden und Christen wird folglich auch ewige Glückseligkeit versprochen.

Von Scharia steht nichts im Koran

Der Koran gebe an keiner Stelle juristische Anweisungen, das Wort Scharia komme im Koran nicht vor. In Khorchides Verständnis ist der Koran „an erster Stelle ein spirituelles Buch in ästhetischen Dimensionen“. Und eben keine konkrete, wörtliche zunehmende Handlungsanweisung. Seit die islamische Welt erkenne, dass die IS-Mörderbanden ihren Krieg gegen Muslime mit wörtlich genommenen Suren begründen, wachse die Zahl der Islam-Gelehrten, die den Koran nicht mehr als Gottes Monolog, sondern als Dialog, als Kommunikation verstehen. Die Begegnung von Christen und Muslimen könne nur auf Augenhöhe gelingen, wenn auch die Muslime ihren falschen Absolutheitsanspruch aufgeben: „Inklusivismus statt Exclusivismus“.

Nicht Trennendes suchen

„Suchen wir nicht ständig das Trennende, schaffen wir ein großes Wir. Der Koran und die Bibel ertüchtigen uns dazu“. Werte werden nach Khorchide durch gelebte Erfahrungen angeeignet, nicht durch die theoretische Lehre. Der Koran irritiere in vielen Aussagen und setze Wissen voraus.

Mouhanad Khorchide bildet an seinem Lehrstuhl islamische Religionslehrer aus, weil Religionsunterricht an deutschen Schulen fast immer bekenntnisgebunden sei. „Bekenntnisgebundener Unterricht aber separiert die Kinder, wie sollen sie über Gemeinsamkeiten erfahren?“ Seiner Auffassung nach müsse sowohl bekenntnisgebundener, als auch gemeinsamer Religionsunterricht stattfinden.

Verschämte Erotik

Dem Vortrag schloss sich eine lebhafte Diskussion an, in der Khorchide viele Missinterpretationen des Koran aufklären konnte. Spannend war zum Beispiel die Deutung, dass scheinbar frauenverachtende Verse tatsächlich verschämte erotische Handlungsanweisungen sein sollen. Und dass die deutschen Bischöfe Marx und Bedford-Strohm bei ihrem Besuch am Tempelberg in Jerusalem ihre Kreuze nicht hätten abnehmen sollen – „unterstellen Sie doch nicht allen Muslimen Radikalität; Muslime sind tolerant und dürfen das nach dem Koran auch sein“.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 6062