
Unterhielten mit interessanten Themen, gutem Essen und Service: Christine Nickles, Marianne Brentzel, Claudia Becker-Haggeney, Gudrun Körber, AG Frauen, Birgit Wippermann, Tonka Kovacevic, Serviceleitung und Rohrmeistereikoch Serkan Saricicek, v.li. Foto: Christel R. Radix
Schwerte. Es war mal wieder ein interessanter Weibsbilder-Abend am Dienstag, 30. August, in der Rohrmeisterei. Er bot durch die Dortmunder Autorin Marianne Brentzel einen Blick auf die Geschichte aus der Vergangenheit, und zwar ging es um das Schicksal der Nesthäkchen-Autorin Else Ury, eine deutsche Jüdin, die 1943 nach Auschwitz deportiert und dort ermordet wurde und vor deren letzten Wohnsitz ein Stolperstein angebracht wurde. So spannte sich der Bogen zu den Gästen Claudia Becker-Haggeney und Christine Nickles, die in Schwerte 2006 das Projekt Stolpersteine ins Leben gerufen haben, und den Part der Gegenwartsfrauen innehatten.
Marianne Brentzel, die sich u.a. durch Biografien über „vergessene“ Frauen der Geschichte hervorgetan hat, hörte während einer Autofahrt im Jahre 1988 die Sendung Zeitzeichen im Radio. Das Thema war Else Ury, die deutsche Jüdin. „Die Else Ury, eine Jüdin“, habe sie sich gefragt. Kannte Marianne Brentzel doch all die Nesthäkchenbücher, die in vielen Bänden von der glücklichen Kindheit der blonden Arzttochter Annemarie Braun handelten.
Schicksal von Else Ury blieb lange im Dunkeln
„Nesthäkchen kommt ins KZ“ war die erste Biografie von Marianne Brentzel, die 1992 erschien, eine erste Annäherung an das Leben und Schicksal der Else Ury. 15 Jahre später, 2007 erschien die zweite Biografie „Mir kann doch nichts geschehen..“, in der ihre Verwurzelung in der jüdischen Tradition und in der deutschen Kultur im Vordergrund steht. Gelesen hat Marianne Brentzel beim Weibsbilder-Abend aus ihrer dritten, 2015, erschienenen Biografie „Mit kann doch nichts geschehen – Das Leben der Nesthäkchen-Autorin Else Ury“.
„Else Ury hat Spuren hinterlassen, die weit über das ‚Nesthäkchen‘ hinausgeht“, sagte Marianne Brentzel. Else Ury wurde 1877 als höhere Tochter in Berlin geboren. Sie konnte nach der Abschlussklasse des Mädchenlyzeums keine Berufsausbildung machen. „Doch sie nutzte ihr Talent. Sie begann zu schreiben.“ 1913 erschienen die ersten zwei Bände von zehn der Nesthäkchen-Reihe – und die Bücher wurden einen Riesenerfolg. Fast sieben Millionen erreichten die Mädchenbücher. Else Ury verdiente gut. Doch ihr Schicksal blieb lange im Dunkeln.

Marianne Brentzel lies aus der Else-Ury-Biografie „Mir kann doch nichts geschehen..“. Foto: Christel R. Radix
1935 erhielt sie quasi ein Berufsverbot durch den Ausschluss aus der Reichsschrifttumkammer. Ihre Familie wanderte aus, doch Else Ury blieb in Deutschland. Im Januar 1943 wurde sie nach Ausschwitz deportiert und sofort nach ihrer Ankunft in der Gaskammer ermordet. Vor ihrem letzten Wohnsitz in Berlin-Moabit, Solinger Straße 10, wird durch einen Stolperstein an sie erinnert.
58 Stolpersteine erinnern in Schwerte
Auf den Stolpersteinen steht geschrieben: „Hier wohnte…“ Die Stolpersteine sind ein Kunstprojekt für Europa von Gunter Demnig. „Ein Projekt, das die Erinnerung an die Vertreibung und Vernichtung der Juden, der Zigeuner, der politisch Verfolgten, der Homosexuellen, der Zeugen Jehovas und der Euthanasieopfer im Nationalsozialismus lebendig erhält.“

Claudia Becker-Haggeney (li.) und Christine Nickles haben das Projekt „Stolpersteine“ in Schwerte ins Leben gerufen. Foto: Christel R. Radix
Im Schwerter Stadtgebiet sind bislang 58 Stolpersteine verlegt. Seit elf Jahren setzen sich Claudia Becker-Haggeney und Christine Nickles für lebendige Geschichte gegen das Vergessen ein. Im Interview mit der Gleichstellungsbeauftragten Birgit Wippermann erzählten die Frauen über die Verwirklichung ihres Projektes und die notwendigen Recherchen dazu. Christine Nickles erfuhr zuerst durch Fernsehberichte von dem Kunstprojekt von Gunter Demnig. „Von der Idee beeindruckt, haben wir bei einem gemeinsamen Kaffeetrinken beschlossen, dieses Projekt in Schwerte ins Leben zu rufen“, erzählte Claudia Becker-Haggeney. Unterstützung bei ihren Recherchen erhielten sie von Jürgen Grewe, der in dem Haus des Euthanasieopfers Baumüller in der Altstadt wohnt, von dem Schwerter Historiker Alfred Hinz und auch von dem Arbeitskreis Frauen. Bislang haben sie rund 230 Namen Verfolgter, nicht alle seien umgekommen. Namen Schwerter Bürgerinnen und Bürger, die sie in alten Adressbüchern, den Bremer Passagierlisten, der Auswanderer Datenbank, dem Theresienstädter Archiv oder von dem NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln recherchiert haben. Eine intensive und zeitaufwändige Arbeit, der die Schwerterinnen mit Leidenschaft gegen das Vergessen nachgehen.
Zwischen Frischkäsemousse, kalter Gurkensuppe, Fischkuchen, Schweinebäckchen und Stippmilch aus der Rohrmeistereiküche, war der Weibsbilder-Abend zu dem die Gleichstellungstelle der Stadt Schwerte und die Stiftung Rohrmeisterei einlud, ein hoch interessanter Abend mit berührenden Themen – gegen das Vergessen.