
Dr. Christine Mast (r.) im Gespräch mit Fotografin Phoebe Cortez Draeger vor ihrer Bilderserie „Diary“. Fotos: Nadine Przystow
Schwerte. Mit den gut 200 Fotografien von Studenten und Absolventen der Ruhrakademie Schwerte und dem Dozenten Kurt Schrage sind die Räume des ehemaligen Kunstvereins nun wieder ein Ort der Kreativität. Dass da nicht nur den Kunstschaffenden über ein Jahr lang etwas gefehlt hat, zeigte das große Interesse seitens der Besucherinnen und Besucher am Donnerstag auf der Vernissage.
Bei der Ausstellung dreht sich alles um die Suche nach dem rechten Augenblick. So bezeichnet es der titelgebende griechische Begriff „kairos“. Im Leben geht es oft darum, eine Entscheidung zum richtigen Zeitpunkt zu treffen. Auch ein Fotograf muss im richtigen Moment auf den Auslöser drücken. „Wir arbeiten mit der These der Dekonstruktion im Sinne des Philosophen Jacques Derrida. Zum einen die Destruktion, also es wird etwas zerstört, und zum anderen die Konstruktion, d.h. es wird wieder neu aufgebaut“, erklärt Kurt Schrage, Dozent für Dokumentarfotografie.

Cathy Kurzweg und ihr Projekt „Virgin – straight cherry“.
Hinter Gittern wie im Zoo
Bestes Beispiel dafür sind die großformatigen Fotos von Cathy Kurzweg. Unter dem Titel „Virgin – straight cherry“ hängen in einem der hinteren Räume wandhoch verschiedene Frauenporträts. „Meine Idee war es, Geschichten heiliger Jungfrauen modern zu inszenieren“, sagt die Dortmunderin. Wie ist die heilige Maria beispielsweise zum Kind gekommen? Kurzwegs Neuinterpretation zeigt eine junge, unkonventionelle Frau, der eine zunächst undefinierbare Flüssigkeit aus dem Mund über Kinn und Hals läuft. Die Künstlerin selbst bezeichnet ihren Stil als „trashig“. Mode und Weiblichkeit sind ihre Themen. Ihr Traum ist es, einmal eine eigene Fotostrecke in der amerikanischen Vogue zu haben.
Wer aufmerksam durch die Räume geht, der wird vor allem mit der eigenen Gesellschaft konfrontiert. Mit seiner Bilderserie „Zootopia“ prangert Robert Schumacher die heutige Zookultur an und bietet dem Besucher gleich ein Erlebnis, welches ihm das Schicksal der Tiere noch viel näher bringt. Denn die schwarz-weißen Fotos hängen in einem nicht einmal ein Meter schmalen Raum, der durch eine vorgeschobene Gittertür prompt zum Gefängnis wird.
Abseits der Pariser Glamourwelt

Auge in Auge: Cornelius Popovici vor seinem Porträt eines Obdachlosen.
Cornelius Popovici hat für seine Arbeit „Pariscope“ den Kodak-Nachwuchs-Förderpreis bekommen. „Ich fotografiere einfach“, antwortet der 43-Jährige auf die Frage, wie er den richtigen Moment erkennt. Seine Aufnahmen von achtlos weggeworfenen Einweghandschuhen im Gebüsch oder einer toten Ratte zeigen eine Parallelwelt zum sonst so glamourösen Chic in der französischen Hauptstadt. Besonders fesselnd ist sein Porträt eines Obdachlosen, das einzige Bild in Farbe. Die starken Kontraste im Gesicht des Mannes sorgen für eine außergewöhnliche Intensität und heben die stählern blauen Augen hervor. Wahnsinn, Verzweiflung, Stolz – all das festgehalten in einem einzigen Blick.
Phoebe Cortez Draeger gehört mit ihren 31 Jahren bereits zu den Großen der Szene. Sie arbeitet für Unternehmen wie Google, Nikon, Audi, Mercedes Benz und Singapur Airlines. Ihre Fotostrecke „Diary“ ist eine Serie über ihr Leben, über Begegnungen und Erfahrungen – Augenblicke eben. Fotos von Dortmunder Norden, wo sie während ihres Studiums an der Ruhrakademie gelebt hat, hängen neben Eindrücken von ihren vielen Reisen. In Mexiko hat sie zum Beispiel eine ältere Dame an ihrem Obststand fotografiert. Die Frau isst ein Stück Mango und schaut dabei direkt in die Kamera: „Ich mag es, wenn die Leute merken, dass sie fotografiert werden. Das Bild bekommt eine andere Wertigkeit, wenn man angeguckt wird.“
Zur Verfügung gestellt hat das Domizil des ehemaligen Kunstvereins der Kultur- und Weiterbildungsbetrieb Schwerte. Vorstand Dr. Christine Mast verlieh ihrer Hoffnung auf Nachfolgeprojekte am Donnerstag unmissverständlich Ausdruck: „Ich finde es wichtig, hier am Wuckenhof weiterhin einen Raum für Experimente zu haben, wo Menschen ihren Blick auf die Welt in ihrem Medium präsentieren können.“
Bis zum 13. Mai ist die Ausstellung mittwochs, samstags und sonntags jeweils von 11 bis 17 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenfrei und für Nachfragen ist immer mindestens einer der Fotografen vor Ort. Eine von den Künstlern erstellte Zeitung mit einer Auswahl an Motiven kann für 20 Euro erworben werden.