
Schwerterheide. Wie schlecht das deutsche Schulsystem bei den Pisastudien abschneidet, ist bekannt. Die große Frage ist jedoch: Was ist das Geheimrezept der anderen, gut abschneidenden Länder? Die Spitzenländer Europas sind klar Estland auf Platz 3 und Finnland auf Platz 5. Deutschland dümpelt beschämend auf Platz 16 herum. Genau zu dieser Fragestellung hatte die Stadtschulpflegschaft Schwerte eine Diskussionsrunde organisiert. Etwa 30 Leute haben sich am Freitagabend auf Schwerter Heide zusammengesetzt und beraten. Darunter Delegationen aus den Vorbildländern Finnland und Estland. Der Arbeitskreis Schwerte – Leppävirta organisiert jedes Jahr Austauschprogramme. Diese Woche sind fünf Schülerinnen und eine Lehrerin aus Finnland und ein Schüler und eine Lehrerin aus Estland zu Gast in Schwerte und haben aus erster Hand über das Schulsystem in ihren Heimatländern berichten können. Alles wurde moderiert von Claudia Belemann.
Kleine Klassen
Grundsätzlich ist das Schulsystem sehr ähnlich zum Deutschen. Die Schulzeiten und Stundeneinteilung ist identisch. 6 Jahre geht die Grundschule. Bis zur neunten Klasse herrscht Schulpflicht. Der Unterricht besteht im Idealfall aus wenig Frontalunterricht und viel Gruppenarbeit, Projektarbeit und eigenständigem Lernen. Die Klassen sind klein, etwa 15 Kindern pro Klasse. Die estländische und finnische Dorfschulen sind jedoch sehr viel Kleiner als unsere schwerter Schulen und es gibt insgesamt weniger Kinder. Sie bestehen nur aus 100 und 200 Schülern. In großen Schulen sei die Klassenstärke auch so hoch wie in Deutschland.
Da fragt man sich jetzt, was machen die denn dann anders?
Andere Atmosphäre in den Schulen
Auf die Frage, welcher markante Unterschied den Finnen zu ihrer Schule und dem Friedrich-Bährens-Gymnasium aufgefallen ist, kam wie aus der Pistole geschossen: „die Atmosphäre.“ Es gäbe Garderoben, wo Schuhe und Jacken ausgezogen werden. Außerdem tragen alle Schüler Schuluniformen. Von der estländischen Lehrerin wurde hinzugefügt: „Hell! Es ist hell bei uns im Gebäude.“
Außerdem würde es viel mehr technische Geräte geben. Beamer und/oder Smartboards sind in jedem Raum vorhanden. Die Schüler lernen sehr viel mit und über Computer. In Finnland wird mittlerweile in den neuen Klassen verlangt, dass die Eltern ihren Kindern einen Laptop kaufen, welchen die Kinder auch in der Schule immerzu nutzen. Kinder, deren Eltern es sich nicht leisten können, einen Laptop für knapp 700 Euro zu kaufen, dürfen auf die Schulcomputer zurückgreifen.
In Deutschland werden solche an die Eltern gestellte Erwartungen und die generelle Computernutzung im Unterricht kritisch gesehen. Aber auch von der estländischen Lehrerin kam Gegenwind. Die Estländerin unterrichtet Mathe und vertritt die Meinung, dass man Mathe weiterhin mit Stift und Zettel erlernen soll, denn das Vorstellungsvermögen sei so viel besser. Den finnischen Schülerinnen gefiel es, Aufsätze am Computer zu verfassen, da diese vom Rechtschreibprogramm korrigiert werden. Dies bereitet uns Deutschen jedoch auch Sorgen, denn wir befürchten die Rechtschreibkompetenz wird so nicht mehr viel gefördert. Doch von der finnischen Seite wurde zuletzt nochmal betont: „Die Computer sind auch nicht in jeder Stunde da.“
Wenig Elterneinfluss
Interessant ist, dass sich Eltern so gut wie komplett aus den schulischen Angelegenheiten ihrer Kinder heraushalten. Die anwesenden Schülerinnen und der Schüler versicherten, ihr Eltern würden ihnen nur helfen, wenn sie explizit fragen. Das ist in Deutschland ja fast unvorstellbar. Elternräte existieren nicht oder werden nur schlecht besucht. Auch um Nachhilfe kümmern sich die Eltern nicht. Die Lehrer geben schwachen Schülern nach der Schule Nachhilfe und werden dafür vom Staat für jede Stunde zusätzlich bezahlt. Wenn benötigt, bekommen Schüler weitere Unterstützung, egal wie gefüllt der Geldbeutel der Eltern ist. Trotzdem gibt es auch in Estland und Finnland Studenten, die sich einiges mit Nachhilfe dazu verdienen.