
Schwerte. Dem Mann hört man bis zum letzten Wort zu: „Je älter ich werde, desto mehr habe ich das Gefühl, dass die nächsten 150 Jahre entscheiden, ob das Experiment Mensch auf der Erde gelingt oder nicht“. Erhard Epplers Stimme wurde nach zwei Stunden Vortrag in der Rohrmeisterei zum Schluss sehr, sehr leise dabei.
Der ökologische Vordenker der deutschen Sozialdemokratie, der schon Anfang der Siebziger zutiefst überzeugte Friedensaktivist, der evangelische Kirchenmann – er muss im hohen Alter von 89 Jahren bei seinen Vorträgen sicher nicht sein neues Buch bewerben. Die gerade erschienene Autobiographie dieses immer noch spannenden alten Mannes mit dem bemerkenswerten Gedächtnis heißt „Links leben“ und steht vermutlich längst in den Regalen, in die es gehört. In das von Landrat Michael Makiolla zum Beispiel, oder Kirchmeister Ulrich Halbach. Oder von Ernst D. Schmerbeck, der wie Eppler über den Umweg von Gustav Heinemanns Gesamtdeutscher Partei zur SPD kam. Viele ließen sich ihre Bücher signieren.
Bemerkenswertes Gedächtnis
Erhard Eppler ist zum Glück noch lebender und beredter Zeuge der deutschen Nachkriegszeit, er war dabei, und zwar aktiv, als die Bundesrepublik Laufen lernte. Der Urschwabe wechselte 1961 vom Lehrerpult in die Abgeordnetenbank des Bundestages, als Adenauer Kanzler war. Er saß im Kabinett mit Kanzler Kiesinger und seinem Freund Willy Brandt – bis dieser von Helmut Schmidt abgelöst wurde. „Zu sagen, Schmidt und ich hätten uns nie verstanden, ist falsch. Ich habe ihn immer verstanden, er mich nie“, aus einem anderen Mund hätte das den Unterton der Koketterie, bei Erhard Eppler schwingt aus aller Sachlichkeit und Wahrheitsliebe nichtmal Bitterkeit mit.

Landrat Michael Makiolla ließ sich sein Buch von Erhard Eppler signieren.
Er war der erste deutsche Entwicklungshilfeminister – „das Amt hat einen anderen Menschen aus mir gemacht, als den, den Sie jetzt vor sich haben: einen belächelten Ökologen und Dritte-Welt-Kämpfer“. Seinen Nachfolgern, allesamt SPD- oder CSU-Politiker, sei es genauso ergangen. Nur dem FDP-Mann Dirk Niebel versagt Eppler jeglichen Respekt, der politische Anstand gebot ihm offenbar jeden weiteren Kommentar. Dass Niebel von der Entwicklungshilfe direkt zu einem Rüstungskonzern gewechselt habe, sage genug.
Die Lebensepoche als Entwicklungshilfe-Minister nahm den breitesten Raum des spannenden Nachmittages in der Rohrmeisterei ein.
Fesselnder Ausflug in die Geschichte
Wer statt mit der Zitronenrolle auf dem Sofa sonntags nachmittags Piratenfilme zu gucken sich in die Rohrmeisterei aufmacht – will der olle Kamellen hören? Gut 50 Zuhörerinnen und Zuhörer, die der Einladung des Schwerter Bündnisses gegen Rechts und des Dortmunder Bildungswerkes KOBI gefolgt waren, wollten. Aber olle Kamellen werden, erzählt von einem aktiv beteiligten Zeitzeugen, zu einem fesselnden Ausflug in die deutsche Historie. Geschichts-und Politiklehrer waren übrigens nicht da, dafür alte Kämpen aus der Gewerkschaftsbewegung, aus der SPD und der evangelischen Kirche.
Der Anblick der tödlichen Dürre in der Sahelzone und der Fakt, dass Menschen dies verursacht hatten, war Anfang der 70er der Auslöser für Erhard Epplers ökologisches Bewusstsein. Die Selbstzerstörung der Welt, ihn ließ das nicht los: „Ich war kein stinknormaler Abgeordneter mehr“. Sondern ein unbeugsamer, unbequemer Kämpfer für die Umwelt und die Menschen in der damals noch Dritten Welt.
Willy Brandts Rücktritt war 1974 für Eppler umso tragischer, als das Brandt soeben von einer Algerienreise zurückgekehrt seinem Freund erklärte: „Erhard, jetzt hab ich’s begriffen“. Erhard Eppler wusste, dass Helmut Schmidt nicht fürs Schwarze unterm Fingernagel Interesse für die Dritte Welt und die Ökologie hatte. „Da war ich in falsche Gesellschaft geraten“. Er musste zurücktreten, als die Regierung Schmidt seinen Etat zusammenstrich und ihn auf einer Geber-Konferenz in Luxemburg stur hängen ließ.
Kretzschmann ist Epplers Erbe
„Ich war sachbesessen, nicht mehr nur sachbezogen“ beurteilt er im Nachhinein seine Arbeit als Regierungsmitglied und Abgeordneter. Dass er heute noch manchmal gefragt werde, waum er damals davon gelaufen sei, tue ihm weh. Er habe doch vielfältig weitergewirkt, habe als Parteivorsitzender in der SPD Baden-Württembergs dem grünen Ministerpräsidenten Wilfried Kretzschmann schon den Boden bereitet – was dieser auch anerkenne: „Der arbeitet mit meinem Erbe“.
Eppler hat in der Grundwertekommission und im Präsidium seiner Partei, die er nie verließ, hat gearbeitet am ökologischen Bewusstsein seiner Mitmenschen. Er sei nie der moralinsaure Gesinnungsethiker gewesen, für den manche ihn hielten. Und halten.
Den SED-Bonzen in Ost-Berlin trotzte er 1987 als SPD-Unterhändler eine Grundsatzerklärung ab, die die Ostberliner Kommunisten als regierungsunfähige Ignoranten entlarvte.
Der alte Mann auf der kleinen Lesebühne in der Rohrmeisterei hat von seiner Konsequenz nichts eingebüßt. Auf die Frage, ob er – wäre er heute jung – nochmal Politiker werden würde, folgt eine längere Pause. Seine verwundbarste Stelle sei dies, gesteht er dem Publikum. Dann sagt er: „Ich musste in die Politik, sonst wäre ich mit dem Gefühl herumgelaufen, du bist ein Feigling“. Seine vier Kinder hätten sehr unter seiner dauernden Abwesenheit gelitten. „Als Feigling wäre ich aber auch kein guter Vater gewesen“.
Hunger-Flüchtlinge kommen erst noch
Dass das eigentliche Flüchtlingsproblem, vor dem er schon in den 70er Jahren wie ein Wanderprediger gewarnt habe, demnächst erst nach Europa komme, sorgt ihn sehr. Weil er sieht, wie schwer sich Europa jetzt schon mit den Gewaltflüchtlingen au dem Nahen Osten tut. Dabei kommen die Hungernden aus Afrika erst noch, auch weil die Politik der reichen Länder vor Jahrzehnten versagt habe. „Glauben Sie mir, im Mittelmeer werden noch in zehn Jahren Flüchtlinge aus Afrika ertrinken“.